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Channel: Natascha Knecht – Outdoor
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Ponte Brolla, Plaisirklettern im Winter

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Ein Gastbeitrag von Emil Zopfi*:

1334: Was für ein Geschenk: Emil Zopf klettert an seinem 70. Geburtstag die Route «Wilde Sofie».

Gutes Omen: Emil Zopfi stürzt an seinem 70. Geburtstag in der Route «Mammut Longlife» – und bleibt unverletzt. (Bild: Emil Zopfi)

Es ist nicht gerade die Superdestination für die Kletterelite des Landes, eher etwas für Einsteiger und Geniesser. «Das Mekka für Plaisirkletterer», lese ich in einem Führerbuch. Oft herrscht auf dem Felssporn am Zusammenfluss von Maggia und Melezza tatsächlich ein Gedränge wie an einem Wallfahrtsort. Trotzdem: Ponte Brolla ist unsere Sonnenecke im Wintergrau, perfekter Tessiner Gneis, schön rau, kleingriffige Platten, gelegentlich auch etwas steiler und immer schön sonnig und warm. Also fast immer.

Wie an einem Wallfahrtsort: Gedränge am obersten Band. (Bild: Emil Zopfi)

Wie am Wallfahrtsort: Gedränge am obersten Band. (Bild: Emil Zopfi)

Wir hangeln uns den Ketten eines Klettersteigs entlang aufs oberste der von Bändern durchzogenen Wand der «Rovine del Castelliere», dort ist das Klettergelände so, als sei es für uns erfunden worden. Griffig und knifflig und nicht allzu kraftraubend. Dazu haben unsere Lieblingsrouten sehr schöne Namen: «Wilde Sofie» zum Beispiel, «Il ponte arcobaleno» oder «Anarchia sotto l’albero di natale». Wahrscheinlich haben die Erstbegeher oder Einbohrer dabei an den Anarchisten Michail Bakunin gedacht, der gegen Ende seines Lebens in der Gegend wohnte. Viele der Routen hat der Berner Oberländer Bergführer Häns Müller eingerichtet. Pesche Wüthrich, auch er ein Berner, hat im «Settore Est» eine Reihe von zum Teil sehr schwierigen Routen erschlossen. Ein Kränzlein also für die Berner – Tessiner Kletterer haben offenbar wenig Interesse gezeigt an einem ihrer schönsten Felsen.

Locarno, die erste Schlüsselstelle

Der wichtigste Ausrüstungsgegenstand des Kletterers ist das Auto, sagten wir, als wir noch in den Bergen wohnten. Heute, als urbane Oldies mit GA, suchen wir Klettergärten, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sind – und das sind nicht besonders viele. Da drängt sich Ponte Brolla geradezu auf. Aussteigen und einsteigen sozusagen, falls man den Zielbahnhof überhaupt erreicht. Denn das Abenteuer beginnt schon im Zug. Mal bleibt der Intercity schon in Thalwil stecken, ein andermal blockieren ein entgleister Regionalzug, ein Felssturz oder eine Fahrleitungsstörung die Strecke. Sind wir glücklich und rechtzeitig in Locarno angekommen, ist die erste Schlüsselstelle geschafft.

Ab Airolo haben wir bang zum Himmel geschaut, der oft bedeckt ist, obwohl Meteo Schweiz lachende Sünneli auf die diversen Onlinewetterseiten platziert hat. Ich weiss nicht, ob Ticino Turismo da irgendwie die Hände im Spiel hat. Jedenfalls sind wir letzthin in Locarno im Café Al Porto hängen geblieben, weil statt der angekündigten 80 bis 100 Prozent Sonne etwa gleich viel schwarze Wolken den Himmel bedeckten – immerhin ist die Patisserie im Al Porto vom Feinsten. Unvergesslich auch jener Tag, als der angeblich milde Nordföhn so eisig tobte, dass wir gleich in der Centovallibahn sitzen blieben und Erinnerungen an Schulreisen auffrischten. Das GA ist ja freundlicherweise für die Strecke über Domodossola bis Brig gültig. Dass zwischendurch die Geleise von einem Erdrutsch verschüttet waren, erhöhte noch etwas den Abenteuereffekt. Nun ja, auch im Auto kommt man nicht immer ans Ziel.

Wenns dann aber klappt und wir an einem wolkenlosen Januartag auf den warmen Gneisplatten hoch über dem Pedemonte klettern, dann ist das Glück vollkommen. Vor zwei Jahren zum Beispiel, an einem runden Geburi, wurde ich so übermütig, dass ich buchstäblich ins neue Lebensjahrzehnt stürzte – das heisst ins Seil. Die schöne Route gehört zu den steileren der Wand, und ich blieb unverletzt. Sie heisst übrigens «Mammut Longlife». Wenn das kein Omen ist!

SCHRIFTSTELLER, AUTOR,*Emil Zopfi ist Schriftsteller und lebt in Zürich. Er ist seit über fünfzig Jahren Bergsteiger und Kletterer. www.zopfi.ch


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