
Jede Bergtour ist ein Egotrip, der keinen interessiert – ausser uns selber. (iStock)
Wir Alpinisten erleben es immer wieder. Das Telefon klingelt, man nimmt ab – und die erste Frage lautet: «Bist du gerade auf einem Viertausender?» Selbstverständlich sind wir es nicht, sonst würden wir das Telefon wohl kaum abnehmen. Die Frage ist ohnehin nur rhetorisch gemeint. Denn selbst wenn wir im Gebirge sind, interessiert das niemanden. Keinen. Nur uns selber.
Kürzlich kletterte ich über einen langen Grat auf einen Gipfel, kam zurück in die Hütte, holte das iPhone aus dem Rucksack, schaute, ob ich Netz finde, und just in diesem Moment rief ein guter alter Freund an. «Bist du gerade auf einem Viertausender?», fragte er. «Ja, heute Morgen stand ich auf einem Viertausender, jetzt bin ich in der Hütte», antwortete ich und hätte ein Bedürfnis gehabt, ihm blumig zu schildern, wie die Tour war. Immerhin ist er ein Marathonläufer und weiss, was es bedeutet, Grenzen auszuloten. Vor seinen Wettkämpfen unterrichtet er mich jeweils penibel über seine Trainingsfortschritte. Während er die 42,195 Kilometer läuft, fiebere ich mit. Danach gratuliere ich ihm aufrichtig. Aber was sagt er, wenn ich einen Viertausender unmittelbar hinter mir habe? «Ah, schön.» Und noch im gleichen Atemzug: «Du, ich rufe eigentlich wegen etwas ganz anderem an, …» Er wollte nicht einmal wissen, auf welchem Gipfel ich war.
Ein paar Tage später telefonierten wir wieder, und ich sprach ihn darauf an. Nicht, weil ich ihm einen Vorwurf machen wollte. Sondern weil es mich interessierte, weshalb eine Hochgebirgstour niemanden interessiert (ausser uns Alpinisten). Er sagte, der Alpinismus sei halt nicht mehr das, was er früher mal gewesen sei. Bergsteigen sei ein Trend- und Massensport geworden und habe dadurch den Mythos verloren. «Spätestens seit Linda Fäh mit dem Schweizer Fernsehen auf dem Matterhorn war.» Wenn die das könne, dann könne das ja keine Heldentat sein.
Später überlegte ich, was eine Heldentat überhaupt ist. Troja erobern? Auf offenem Meer gegen einen Tiger kämpfen? Klassische Heldenepen haben alle dasselbe Muster: Jemand verlässt den Alltag, er bricht in unbekannte Welten auf und stellt sich unvorstellbaren Gefahren und Herausforderungen, er leidet, hat Selbstzweifel, kann jederzeit scheitern oder gar zu Schaden kommen. Am Ende meistert er alle Herausforderungen, kehrt zurück in den Alltag und ist fortan in der Gesellschaft ein anderer, ein Held. Bei Christoph Kolumbus ging das so. Bei Neil Armstrong. Bei Reinhold Messner.
Heute hat sich das Ansehen gewandelt. Als wahre Helden gelten nicht mehr Abenteurer, sondern Menschen, die vom Schweizer Radio als «Helden des Alltags» gewählt werden. Stille Schaffer, die anderen helfen, ohne dafür Anerkennung zu erhaschen. Die selbstlos für das Wohl der Gesellschaft sorgen. Marathonisten sind genauso weit von solchem Mutter-Teresa-Verhalten entfernt wie wir Alpinisten. Jede Bergtour ist ein Egotrip, der keinem etwas nützt und niemanden interessiert. Nur uns selber. Genau darum reden wir so unheimlich gerne darüber. Auch am Telefon.
Sie auch?
Der Beitrag Worüber Alpinisten am liebsten reden erschien zuerst auf Outdoor.