
Ist das noch gesund? Teilnehmerinnen des Frauen-Triathlons an den Europaspielen in Baku. Foto: Vassil Donev (EPA)
Was geschieht, wenn zwei völlig unterschiedlich gesinnte Gruppierungen aufeinandertreffen? Zum Beispiel die Sportsüchtigen und die Sportverächter? Dann steht man am Ende da – und ist ziemlich ratlos. Eigentlich müsste ich sogar schockiert sein. Ohne Schlimmes zu erwarten, machte ich den von «SRF bewegt» propagierten wissenschaftlich entwickelten Test «Hast du noch Freude am Sport oder bist du schon süchtig?». Würde ich dem Resultat Glauben schenken, wäre ich derart sportsüchtig, dass man mich zwangsmässig in eine geschlossene Entzugsklinik einliefern müsste.
Doch so einfach und generell ist die Sache natürlich nicht. Nehmen wir die erste Frage mit den drei möglichen Antworten:
Wenn ich zwei Tage nicht trainieren kann, fühle ich mich unwohl.
– Nein
– Trifft etwas zu
– Ja
Was soll ich da ankreuzen? Alle drei Antworten treffen auf mich zu – je nachdem. Denn ich trainiere projektbezogen. Plane ich etwa die Besteigung eines Bergs über eine lange, steile Route, dann will ich physisch vorbereitet sein, muss an meiner Ausdauer feilen. Alle zwei Tage eine Laufrunde ist da sicher nicht übertrieben. Schaffe ich das aus zeitlichen Gründen nicht, fühle ich mich vielleicht tatsächlich «unwohl». Aber nicht im Moment, sondern am Tag X am Berg, wenn ich zu unfit bin.
«Genügend Kraft ist ein Zustand, den es gar nicht gibt»
Die Crux ist doch folgende: Auch die Nicht-Süchtigen – also all jene, die «noch Freude am Sport» haben – brauchen Motivation. Am leichtesten kann man sich zu einem Training aufraffen, wenn man sich für die nahe Zukunft ein realistisches Ziel setzt. Um dieses zu erreichen – sei es für Laufanfänger ein 10-Kilometer-Volkslauf oder für fortgeschrittene Velofahrer das Alpen-Brevet – muss man nun einmal etwas dafür tun. Von nichts kommt nichts. «Wer nicht weiss, wo er hin will, darf sich nicht wundern, wenn er woanders ankommt», schrieb schon Mark Twain.
Für mich ist jemand, der drei oder vier Trainingseinheiten pro Woche absolviert, um ein Ziel zu erreichen, nicht sportsüchtig. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich stets verbessern will. «Genügend Kraft ist ein Zustand, den es gar nicht gibt», sagte Wolfgang Güllich. Dasselbe gilt übrigens auch für die Ausdauer.
Jeder glaubt: Was ich mache, ist das Richtige
Wo liegt aber die Grenze? Was ist noch gesund, was nicht? Da gehen die Meinungen gewaltig auseinander: Ein Sofa-Liebhaber findet einen Marathon schlecht für die Hüfte, schlecht für die Knie, schlecht für ein genussvolles Lebenskonzept. Ein Marathonläufer stuft eine Matterhornbesteigung als «extrem» ein. Ein Matterhornbesteiger sieht die Ironman-Kämpfer als «Freaks».
Lustig ist einfach, dass jeder glaubt, dass genau das, was er macht, das Richtige sei. Hauptsache der Sofafreund kann über den ausgemergelten Ultramarathonisten lästern und der Ultramarathonist über den übergewichtigen Sofafreund. Mit meinen sportlichen Ambitionen ordne ich mich selber etwa in der Mitte dieser beiden Extreme ein. Selbstverständlich erachte ich das als ideal – und alles andere als schlecht.