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Channel: Natascha Knecht – Outdoor
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Porno – die neue Rhetorik am Berg

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Das findet, wer Climbingporn sucht: Bilder aus dem Mad-Rock-Katalog (l.) oder den Kanarraville Falls, Zion National Park, Utah (r.). Fotos via Twitter und Reddit

Wer nach Climbing-Porn sucht, findet unter anderem das: Bilder aus dem Mad-Rock-Katalog (l.) oder den Kanarraville Falls, Zion National Park, Utah. Fotos via Twitter und Reddit

«Ski-Porn» oder «Climbing-Porn» – man mag es seltsam finden, unter welchen Schlagwörtern die heutigen Freerider und Kletterer ihre «geilsten» Linien ins Netz stellen. Die Bilder und Videos zeigen keine klassische Pornografie, sondern lediglich Menschen in steilen Tiefschneehängen oder Felswänden. Erotisch aufgeladene Formulierungen haben in der alpinistischen Literatur Tradition. Sie lösten die militärische Rhetorik ab, die vor 150 Jahren gebräuchlich war, als das Freizeitbergsteigen in Mode kam. Der damals neu gegründete SAC fungierte als «Generalstab» der Alpinisten. Eine Vereinstour war ein «Feldzug» mit dem Ziel, einen Gipfel «anzugreifen» und zu «erobern».

Zwar hält sich der Ausdruck «einen Berg bezwingen» hartnäckig, allerdings praktisch nur noch in den Medien, geschrieben von Leuten, die sich wohl noch nie über die Waldgrenze hinausgewagt haben. Denn die Alpinisten begriffen schnell, dass sie im Gebirge oft einen «Kampf» führen, aber vor allem mit sich selber, nicht gegen den Berg. Dieser lässt sich nicht «besiegen», er bleibt immer stärker. Die schlauere Taktik ist also, sich behutsam an einen Gipfel «heranzumachen», wie bei einem zwischenmenschlichen Flirt. Bei zu aggressiver Methode ist der Fehltritt programmiert. Liebe und Leid stehen auch im Gebirge nahe beieinander.

Berge sind attraktiv, Alpinisten ebenfalls

Nun liegt es aber in der Natur des typischen Alpinisten, dass er sich unheimlich stark glaubt. Er trotzt Wind, Wetter, Gefahren und nimmt sein Leben «hart in die Hand». In seiner Logik sind sein gesunder, widerstandsfähiger Körper, sein Mut und sein Tun hochattraktiv. Inmitten der Gipfelwelt kommt er sich vor wie der Held in der Disco. So wundert es wenig, dass die Berge seit jeher «als Objekte des bergsteigerischen libidinösen Begehrens» inszeniert werden, wie Dagmar Günther in ihrem wissenschaftlichen Werk «Alpine Quergänge» feststellt.

In Tourenberichten liest man ständig von «Liebhabern der Höhen», die «leidenschaftlich» ins Gebirge «eindringen». Mit «Ausdauer» und aus reiner «Manneskraft». Beim Ausleben dieses «Triebs» verspüren sie «intime Gefühle». Sie «begehren» die Berge und haben das «brennende Verlangen» nach einer «Besteigung», am liebsten eines «unberührten» Gipfels. Auf dem «Höhepunkt» erfahren sie «tiefe Befriedigung».

«Gefesselt» von den «Reizen» der «Spalten» und «Ritzen» lassen sie sich von «unstillbarer Sehnsucht» leiten. Der Anblick von «schön geformten» Felsen «erregt» sie. Ein «blanker Vorbau» macht sie «schwach», sie können nicht «widerstehen». Besonders dann, wenn Wolken vor dem Auge des Alpinisten «hoch und höher ziehen», die Flanken «entschleiern» und diese in «vollendeter Herrlichkeit» «verführerisch» herübergrüssen. Je abweisender sie sich geben, desto grösser das Ansehen des Alpinisten, der sie «bekommt». Das verursacht natürlich auch «Versagensängste». Aber nach der geglückten Tour dank der «richtigen Technik» sind ihr «Selbstwert» und die «Sensibilität» gesteigert.

Während früher in den alpinistischen Schilderungen lediglich erotisch konnotierte Metaphern gewählt wurden, kommen die jungen Wilden nun ohne Umschweife zur Sache. Das neue Porno-Vokabular ist sozusagen eine sprachliche Weiterentwicklung des «immer schneller, höher, krasser» im Bergsport, angepasst an das 21. Jahrhundert.


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