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Channel: Natascha Knecht – Outdoor
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Warum die Everest-Touristen nerven

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Bis hier schafft es jeder: Gruppenbild im Basislager. Foto: Kyle Taylor (Flickr)

Bis hier schafft es jeder: Gruppenbild im Basislager. Foto: Sam Hawley (Flickr)

Mit dem grossen Mount Everest ist es schon so weit, dass eigentlich jede Neuigkeit von diesem Berg nervt. Der erste 83-Jährige, der erste HIV-Positive, der erste Einbeinige. Für sie heisst das Ziel nicht Gipfel, sondern Eintrag ins «Guinnessbuch der Rekorde». Um dies zu erreichen, sind sie bereit, an gefrorenen Leichen vorbeizustampfen, Müll zu hinterlassen und andere unmenschliche Dinge zu tun. Jedenfalls ist das Image der «Pistenalpinisten» am höchsten Erdengipfel ramponiert.

Hier bei uns – weit weg vom Himalaja – brennt sich die Vorstellung ein, die Teilnehmer einer organisierten Everest-Expedition seien keine Bergsteiger, sondern dekadente Egoisten. Die Sherpas müssten sie hinauf- und hinuntertragen. Weil die «Ice Doctors» Brücken und Leitern durch den Khumbu-Eisbruch legen, weil der Weg bis auf den Gipfel tipptopp gespurt und mit Fixseilen versehen wird, sei das keine respektable Leistung. Nicht zu vergessen der künstliche Sauerstoff. Damit ist eine Besteigung ohnehin «nicht richtig». Doping, Beschiss. Mit diesen Hilfsmitteln komme jeder rauf. Eben auch der 83-Jährige, der HIV-Positive, der Einbeinige.

Die Geringschätzung der «Everest-Touristen» ist nach dem Erdbeben nochmals gewachsen. Foto: Kyle Taylor (Flickr)

Die Geringschätzung der Touristen ist nach dem Beben gewachsen. Foto: Kyle Taylor (Flickr)

Die verbreitete Geringschätzung der «Everest-Touristen» ist in diesem Frühling nochmals gewachsen. In Nepal starben durch das Erdbeben 8000 Personen, Tausende wurden verletzt, Millionen obdachlos. Am Everest befanden sich zum Zeitpunkt des Bebens 100 Bergsteiger, Sherpas und Köche im Lager 1. Alle blieben körperlich unversehrt, aber es gab Nachbeben, sie fürchteten einen Wetterumschwung, und die präparierte «Piste» zurück durch das Khumbu-Gletscherlabyrinth war zerstört. Sie konnten nicht mehr absteigen, waren auf 6100 Meter gestrandet. Unten im Basislager starben 19 Personen in einer Lawine, auch Einheimische.

Die News, dass die «Everest-Touristen» ausgeflogen wurden, bevor die Helikopter in Nepals verwüstete Gebiete flogen, bewirkte weltweit eine Flut empörter Kommentare und Leserbriefe. Reinhold Messner sprach von Zynismus und «Zweiklassenrettung» – womit er selbstverständlich recht hat. Geld spielte den Expeditionen offenbar keine Rolle. Zumindest im Moment. In der Eile handelten sie nämlich keinen verbindlichen Preis für die Rettungsflüge aus. «Macht euch keine Sorgen um den Preis», habe das Helikopter-Unternehmen Fishtail Air gesagt, und präsentiert jetzt eine saftige Rechnung. 12'000 Dollar pro Rotation, die je 4 Minuten dauerte. Zehnmal so viel wie üblich. «Es ist mies, dass die Firma aus unserer Notlage Profit schlagen will», lässt sich ein amerikanischer Expeditionsleiter vom «Spiegel» zitieren.

Im Basislager starben 19 Personen in einer Lawine, auch Einheimische. Foto: Kyle Taylor (Flickr)

Im Basislager starben 19 Personen in einer Lawine. Foto: Kyle Taylor (Flickr)

Klar ist das mies. Trotzdem hält sich das allgemeine Mitleid in Grenzen. Warum wohl? Persönlich hege ich grosses Verständnis, dass die Bergsteiger keine Lust hatten, auf 6100 Meter auszuharren. Aber wie will man das Luxusleid am Everest ernst nehmen, solange Betroffene frischfröhlich twittern, Videos ins Netz stellen, via Satellitentelefon Interviews geben – und am Ende jammern, sie seien für die Rettung übers Ohr gehauen worden? Muss das sein? Was ist Ihre Meinung?


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