
Kommen nicht zur Ruhe: Louis Agassiz und sein Agassizhorn (Bildmitte, rechts das Finsteraarhorn). Bild: Wikimedia Commons
Über Rassismus wird derzeit nicht nur in der grossen weiten Welt diskutiert, sondern auch im Schweizer Alpen-Club. Dass das Thema Emotionen weckt, zeigt die aktuelle Ausgabe der Mitgliederzeitschrift «Die Alpen»: Zwei Seiten sind gefüllt mit Leserbriefen zur Frage: «Was tun mit einem unliebsamen Ehrenmitglied?»
Das «unliebsame Ehrenmitglied» ist der Gletscherforscher Louis Agassiz. Er kam 1807 im Kanton Freiburg zur Welt und starb 1873 in den Vereinigten Staaten, ist also schon seit 143 Jahren tot. Wahrscheinlich würde heute kaum ein Alpinist von ihm wissen, gäbe es nicht den St. Galler Hans Fässler, der 2007 das Komitee «Démonter Louis Agassiz» gründete und seither unermüdlich Agassiz’ dunkle Seite öffentlich macht. Erst wollte Fässler das Agassizhorn (3946 m ü. M.) im Grenzgebiet Bern und Wallis umbenennen (wir berichteten). Und jetzt, nachdem er mit diesem Vorhaben gescheitert ist, möchte Fässler, dass der SAC Agassiz die Ehrenmitgliedschaft aberkennt.

Gletscherforscher Louis Agassiz im Alter von 33 Jahren. Später wurde er Rassist. Gemälde: Fritz Zuberbühler (Wikipedia)
«Vordenker der Apartheid und des Rassenwahns»
Grund: Agassiz war nicht nur Gletscherforscher. Nachdem er in die USA emigriert war, begann er rassistische Theorien populär zu machen. In einem Artikel in einer US-Zeitschrift schrieb er über unterschiedlich zivilisierte Rassen, von «mutigen, stolzen Indianern», «unterwürfigen, kriecherischen, nachahmerischen Negern» und «durchtriebenen, listigen und feigen Mongolen». Der Schweizer gewann damit etwa bei den Sklaventreibern Sympathie. In ihren Augen legitimierten seine Aussagen über den unterschiedlichen Ursprung der Menschen ihr Tun. Für Fässler ist Agassiz deshalb ein «Vordenker der Apartheid und des Rassenwahns».
Auch wenn heute in dieser Diskussion daran erinnert wird, rassistische Vorurteile seien damals selbst in gelehrten Kreisen verbreitet gewesen, entschuldigt das Agassiz’ Rassismus nicht. Denn er war selbst für damalige Verhältnisse ein Extremer. Aber macht es Sinn, ihm jetzt die Ehrenmitgliedschaft beim SAC abzuerkennen? Was würde das ändern?
Der SAC ehrte Agassiz 1863 für seine Verdienste in der Gletscherforschung – und diese waren bedeutend. Damals glaubten die Leute, die Gletschermoränen seien durch die Sintflut entstanden. Wie sonst konnten Findlinge und Fossilien ins Gebirge kommen, wenn nicht durch das biblische Hochwasser? Agassiz war einer der wichtigsten Vertreter der Eiszeittheorie. Zu Ehren seiner Forschung als Glaziologe wurde eine Reihe Tierarten nach ihm benannt, ein See in Nordamerika, ein Krater auf dem Mars und ein Promontorium auf dem Mond.

Das «Hôtel des Neuchâtelois» auf dem Unteraargletscher: Agassiz und seine Kollegen forschten hier in den 1840ern. Ihre Arbeit erregte die Neugier eines internationalen Publikums, Touristen aus aller Welt kamen auf die Grimsel. Es war der «Place to be».
Clubintern gibt es keinen Präzedenzfall
Agassiz war ein berühmter Mann. Heute kaum mehr vorstellbar, aber seinerzeit war Gletscherforscher ein Beruf mit grossem Sexappeal. Die Erfolgreichen wurden von der Gesellschaft gefeiert wie heute Popstars – oder Immobilien-Tycoons. Das gab Agassiz Macht. Und er nutzte diese später, um seine Rassismustheorien zu verbreiten. Noch liegt Fässlers Antrag dem Zentralvorstand des SAC nicht «formell korrekt» vor. Die Diskussion wird dennoch bereits eifrig geführt: «Wie geht man historisch korrekt mit der Ehrenmitgliedschaft eines Forschers um, der sich als Rassist entpuppt hat?» Clubintern gibt es keinen Präzedenzfall.
Ich persönlich finde es gut, dass dieses dunkle, fast vergessene Kapitel der Geschichte wieder aufgefrischt wird. Noch wichtiger finde aber, den aktuellen Rassismus zu diskutieren. Auch unter Alpinisten.
Der Beitrag Der Ehren-Rassist im SAC erschien zuerst auf Outdoor.