
«Nur wer grosse Opfer bringt, wird etwas erreichen»: Nobukazu Kuriki am Mount Everest, Oktober 2016. Foto: Nobukazu Kuriki, «Sharing the Dream» (Facebook)
Es war sein sechster erfolgloser Versuch: Der japanische BergsteigerNobukazu Kuriki schaffte es wieder nicht, den Everest-Gipfel zu erreichen. Vorgestern, am Montag, brach er seine Solo-Expedition aus Vernunft ab. Anders als 2012, als er in dünner Luft fast gestorben wäre. An Händen und Nase hatte er schwerste Erfrierungen erlitten – und trotz enormer Schmerzen und krasser Kälte kehrte er nicht um. Stattdessen postete er auf Twitter und Facebook ununterbrochen aus der Todeszone. Seine riesige Fangemeinde litt mit ihm – ich auch. Tagelang. Am Ende sahen wir zu, wie er gerettet werden musste. Seine Hände waren schwarz, neun seiner Finger musste er danach amputieren lassen. Trotzdem tauchte er letzten Herbst wieder am Everest auf und wollte der Erste sein, der nach dem Erdbeben in Nepal auf das Dach der Welt steigt.

Finger und Nase abgefroren: Kuriki im Spital in Kathmandu, 2012. Foto: Nobukazu Kuriki (Facebook)
Nobukazu Kuriki und der Everest – diese Geschichte habe die Ausmasse einer griechischen Tragödie, schrieb das Webportal Alpin.de kürzlich. Tatsächlich erinnert sie an die Geschichte von Sisyphus, der einen riesigen Stein auf einen Berg wälzt, kurz vor dem Ziel scheitert und wieder und wieder von neuem beginnt.
Mit nur einem Daumen in die Nordwand
In diesem Herbst versuchte Kuriki erstmals, von der chinesischen Seite auf seinen Traumberg zu steigen – durch die steile Nordwand, solo und mit nur einem Daumen. Die Verhältnisse waren wegen viel Neuschnee und Lawinen schlecht. Andere Expeditionen wie jene des spanischen Ultra-Bergläufers Kilian Jornet reisten gleich wieder ab. Nicht so Kuriki: Er wühlte sich bis auf 7400 Meter hinauf, bis er im Tiefschnee bis zur Taille festsass. Er stieg wieder ab ins Basislager, um auf ein besseres Zeitfenster zu warten. Doch dann kamen die im Himalaja berüchtigten Jetstream-Starkwinde auf und beendeten diese Everest-Saison.
Video: Nobukazu Kuriki (Facebook)
Kurikis Videos werden über Nacht bis zu 100’000-mal angeschaut. Grosse Medien wie der «Spiegel» berichten über ihn. In Japan avancierte er längst zum Superstar. Er sei so etwas wie ein Prediger für ambitionierte Ziele und Durchhaltefähigkeit, berichtet der Asien-Korrespondent der «Frankfurter Rundschau». Kuriki halte oft Vorträge, und aus jeder Gruppe, vor der er spreche, kündige eine Reihe von Mitarbeitern den Job, um mehr Selbstverwirklichung anzustreben. Kuriki schreibt Bücher mit Titeln wie «No Limits» und verkaufte davon bereits 170’000 Exemplare. Dass er mit einer Körpergrösse von 1,62 Metern und einem Gewicht von 60 Kilogramm eben kein bergsteigender Übermensch sei, erhöhe die Glaubwürdigkeit seiner «Jeder kann es schaffen»-Botschaft. Zu den abgefrorenen Fingern habe ihm sein Vater gratuliert: «Nur wer grosse Opfer bringt, wird etwas erreichen.»
Immer solo und ohne Hilfsmittel
Bisher hat Kuriki drei Achttausender erfolgreich bestiegen und sechs der «Seven Summits», die jeweils höchsten Berge der Kontinente. Alle Gipfel geht er solo an, ohne Sauerstoffflasche und ohne Hilfe von Sherpas. Die Chancen für den Everest-Gipfel wären im Frühling deutlich höher, doch der «Massenalpinismus» sei ihm zuwider, sagt Kuriki. Darum kommt er im Herbst, obschon die Verhältnisse am Berg viel schwieriger sind: Seit 2010 hat es keiner geschafft, den Everest-Gipfel zu dieser Jahreszeit zu erreichen. Und seit 1993 war im Herbst keiner ohne künstlichen Sauerstoff oben.
Kuriki kündigte an, nächstes Jahr zu seinem Traumberg zurückzukehren – und «seinen Traum» wieder mit uns zu teilen. Ich freue mich schon darauf. Kommt Kuriki, kommt Drama.
Der Beitrag Der Sisyphus am Everest erschien zuerst auf Outdoor.