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Channel: Natascha Knecht – Outdoor
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Fertig Schoggi für die Superkletterer

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Alex Honnold, der König der Free-Solo-Kletterer, in der 15-Seillängen-Route El Sendero Luminoso (5.12d). Die Big Wall befindet sich in der Nähe von Monterrey, Mexiko.

Die Empörung in der Kletterszene scheint gross zu sein, jedenfalls gipfelte sie übers Wochenende in einem regelrechten Shitstorm. Im Fokus steht die amerikanische Firma Clif Bar, die mit Energie- und Regenerationsriegeln für Sportler eine halbe Milliarde Dollar Jahresumsatz generiert. Zur Promotion ihrer Produkte hat Clif Bar gegen zwanzig Top-Kletterer unter Vertrag. Doch damit soll nun Schluss sein. Fünf von ihnen sollen offenbar aus dem Ambassadoren-Team fliegen. Es sind dies Alex Honnold, Dean Potter, Steph Davis, Cedar Wright und Timmy O'Neill. Warum? Weil diese «Free Solo» klettern, also ungesichert im Alleingang und im Hochrisikobereich.

Zwar hat Clif Bar den fünffachen «Rauswurf» (noch) nicht offiziell bestätigt, aber auf der Team-Website tauchen die fünf nicht mehr auf. Und gegenüber dem Magazin «Rock and Ice», welches die Sache publik machte, sagte der Pressesprecher, Clif Bar wolle künftig wieder traditionelle Stilformen sponsern, also die Clean-Kletterer, Boulderer, Alpinisten oder Sportkletterer. Mit anderen Worten: die «Braven» wie Chris Sharma, meint Bergsteigen.com.

8a.nu glaubt, da Honnold der berühmteste Free-Solo-Kletterer der Welt sei, könne es sich nur um ein Missverständnis handeln. Weniger diplomatisch sind viele Kommentare in den Internetforen. Da wird reihenweise wüst gegen Clif Bar ausgeteilt – in allen Weltsprachen. Aber Free-Solo-Klettern finden bei weitem nicht alle gut. Es ist eine Spielform, die polarisiert.


Alex Honnold in der Route «Heaven» (5.12d), im Yosemite Valley, Kalifornien.

Wie viel Kommerz braucht der Alpinsport?

Meine Einstellung dazu ist ambivalent. Einerseits finde ich es zu viel des Guten, wenn ein Alex Honnold ungesichert eine Big Wall klettert, Hunderte von Metern Luft unter dem Hintern. Jeder Fehler wäre sein letzter. Dies entspricht wirklich nicht dem, was ich unter Klettern oder Alpinismus verstehe. Andererseits schaue ich seine Videos trotzdem. Man muss ja nicht immer alles verstehen.

Honnolds Können und vor allem seine mentale Stärke sind überirdisch – nicht nur in meinem Empfinden. Millionenfach werden seine Videos angeklickt. Und genau darin steckt die Krux: Was nicht fassbar ist, finden viele Leute absonderlich, sinnlos, blöd, überflüssig. Statt zu akzeptieren, dass es Mitmenschen gibt, die um Welten besser und mutiger sind, reagieren sie mit Neid, Aggression, Beleidigung und offenbar auch mit der Drohung, keine Riegel von Clif Bar mehr zu kaufen. Aber wo wären wir heute, hätte es nie Pioniere gegeben, die Dinge wagen, die für die breite, angepasste und ängstliche Masse zu extrem sind?

Trotzdem finde ich es richtig respektive dringend nötig, dass dieses «Weiter, Höher, Schneller» diskutiert und hinterfragt wird. Der eigentliche Skandal ist meiner Meinung nämlich ein anderer: Es gibt Kletterer und Alpinisten, die als Team Ausserordentliches leisten, nur interessiert das inzwischen kaum noch irgendwen. Die Stars unter den Free-Solo-Kletterern stehen allen anderen in der Sonne. Inzwischen meint der Normalbürger, die Eigernordwand sei ein Spaziergang und die grösste Gefahr am Mount Everest seien die Sherpas.

Statt gegen einen Hersteller von Schoggiriegeln Energie zu verschwenden, könnte die Szene auch kritisch darüber nachdenken, wie viel Kommerz, Selbstverliebtheit und undurchsichtige Inszenierung der Alpinsport überhaupt verträgt.

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